A. Sharma (Cambridge)
M. Kruse (London)
1 Einleitendes
Vom September bis Dezember 2018 besuchten wir (A. Sharma und M. Kruse) am Londoner Goethe Institut einen Kurs zur Lehrausbildung. Der Kurs bestand aus zwei Teilkomponenten: DLL-1, bei welchem es um „Lehrkompetenz und Unterrichtsgestaltung“ ging und DLL-6, welcher auf „Unterrichtsplanung“ fokussierte. Als Nachweis des Erwerbs der grundlegenden Kenntnisse dieses Kurses mussten wir ein praxis-orientiertes Erkundungsprojekt planen sowie durchführen. Bei unserem Projekt haben wir bei einer Londoner Grundschule die Rolle der Selbsteinschätzung beim Spracherwerb untersucht. Dieser Bericht ist eben die Verschriftlichung unseres Praxiserkundungsprojekts (nachstehend als ‚PEP’ bezeichnet) und bietet einen Überblick über unsere Fragestellung, Projektgestaltung und Befunde.
2 Fragestellung
Die Fragestellung unseres Projekts lautete wie folgt: „Was für Konsequenzen hat er für Lernerfolg, wenn die Einschätzung von Lehrenden und Lernenden über die Kompetenz der Lerner variieren?“
3 Terminologische Klärung
„Selbsteinschätzung“ ist kein neuer Begriff bei der Spracherwerbforschung. In der vergangenen Forschung ist dieser Begriff mehrfach und auf unterschiedlichen Weisen definiert worden. Hinzu kommt, dass „Selbsteinschätzung“ nicht der einzige Terminus ist. In der Forschung gibt es eine Großzahl von konkurrierenden Termini, angesichts deren wir von eine „Pluralität von Begriffen“ sprechen. Die Prominentesten unter diesen Termini sind „Selbstevaluierung“, „Selbstbeurteilung“, „Selbstkontrolle“ und „Selbstevaluation“. Holec (1979) definiert den „Selbstevaluation“ als eigenverantwortliche Überprüfung des Lernergebnisses mit Blick auf die selbst gesetzten Ziele und die eingeschlagenen Wege. Formen der externen Evaluation (insbesondere Prüfungsverfahren), die auf Außenkriterien und Standards beruhen, müssten dementsprechend verändert werden (Kleppin 2005). Andererseits wird Selbstevaluation durchaus in einem Zusammenhang mit Außenkriterien gesehenin. Lerner organisieren ihren Lernweg und schätzen ein, ob sie vorgegebene Ziele erreicht haben (Benson 2001). Neuster Forschung zufolge ist Selbstevaluation ein umfangreicher Reflexionsprozess, in dem Lehrer und Lerner über den Lernprozess reflektieren (siehe Tassinari 2012). Um der aus oben ausgeführten terminologischen Vielfalt entstehenden Komplexität zu entkommen, haben wir in unserem PEP den Begriff „Selbsteinschätzung“ verwendet. Im Mittelpunkt steht bei diesem Terminus die Frage der Lernerautonomie. Laut Tassinari (2012) verweist „Lernerautonomie“ auf die Fähigkeit der Lerner, in verschiedenen Situation Kontrolle über das eigene Lernen auszuüben.
4 Hypothese
Die Hypothese unseres PEPs war, dass die Autonomie zur Selbsteinschätzung zur Senkung des Leistungsdrucks führt. Der gesunkene Leistungsdruck bringt wiederum Lernerfolg mit sich mit.
5 Herangehensweise
5.1 Methodik
Kleppin (2005) nennt folgende drei Facetten der Selbsteinschätzung: (a) Selbsteinschätzung auf einer vorgegebenen Selbsteinschätzungsskala, (b) Selbsteinschätzung des sprachlichen Fortschritts bei von außen festgelegten Etappen, und (c) Selbsteinschätzung des sprachlichen Fortschritts bei selbst festgelegten Etappen. Bei unserem PEP wurde das Skala von uns festgelegt. Wir haben eine Prüfung zum Thema „Tageszeiten“ konzipiert. Das Modus der Arbeit war zuerst individuelle und danach Gruppenarbeit. Das Ziel war ein Vergleich der Einschätzungen des Lehrers (Kruse) und der LernerInnen.
5.2 Das Layout des Experiments
Die Prüfung bestand aus drei Stufen: leicht, mittel und schwer. Auf einem Tisch wurden Prüfungspapiere gestellt. Diese Papiere waren mit den Etiketten „leicht“, „mittel“ und „schwer“ markiert. Die Schüler und Schülerinnen hatten die Autonomie, sich eine beliebige Stufe auszusuchen. Jede(r) Schüler(in) hatte ca. 5 bis 10 Minuten Arbeitszeit für die Prüfung. Bei der Stufe „leicht“ musste man 10 Sätze mit einer Tageszeit verbinden. Die Stufe „mittel“ verlangte, dass die Lerner – anhand von Tageszeiten – 12 Sätze verfassen. Letztens musste man bei der Stufe „schwer“ 12 Antwortsätze verfassen, welche das Verb sowie das Objekt der Frage wiederholen. Einige Beispiele der Fragen bei der Stufe „schwer“ lauteten wie folgt: „wann schlafe ich?“, „wann esse ich Abendbrot?“, „wann stehe ich auf?“ usw. Von den Lernern wurde erwartet, dass sie auf der folgenden Art antworten: „wann schlafe ich? Ich schlafe in der Nacht.“ Zwecks optischer Sichtbarkeit wird im Folgenden grafische Darstellung der Prüfung angeboten.
Bild 1. Prüfungspapiere mit den Etiketten „mittel“, „leicht“ und „schwer“
Bild 2. Darstellung der Stufe „mittel“
6 Datenerhebung
Der Vergleich der Einschätzungen, welche aus dem Projekt entstanden, wird im Folgenden wiedergegeben. Zwecks Datenschutzes sind Namen der SchülerInnen gekürzt worden.
Tabelle 1. Vergleich der Einschätzungen bei Lehrereinschätzung „leicht“
Tabelle 2. Vergleich der Einschätzungen bei Lehrereinschätzung „mittel“
Tabelle 3. Vergleich der Einschätzungen bei Lehrereinschätzung „schwer“
7 Datenauswertung
7.1 Quantitative Auswertung
Die Datenauswertung brachte kenntnisreiche Resultate hervor. Es gab insgesamt 6 Fälle von Abweichungen. Jede Gruppe (leicht, mittel, schwer) wies jeweils zwei Fälle von Abweichungen. Die maximale quantitative Varianz gab es bei der mittleren Gruppe, da 66% von Lernenden eine Stufe anders als angenommen wählten. Die maximale uneinheitliche Varianz gab es ebenfalls bei der mittleren Gruppe, da 50% der Varianz nach oben (d.h. Stufe „schwer) sowie 50% nach unten (Stufe „leicht“) gerichtet war.
7.2 Qualitative Auswertung
Die Varianz nach unten (drei Fälle) gab es bei den folgenden Lernern: (i) S (angenommen mittel, ausgesucht leicht), (ii) Le. (angenommen schwer, ausgesucht mittel), und (iii) Am. (angenommen schwer, ausgesucht leicht). Der Lehrer (Kruse) fand den Fall 3 besonders besorgniserregend, da sich eine drastische Diskrepanz zwischen den Einschätzungen herausstellte. Diese Diskrepanz sah der Lehrer im erhöhten Lerndruck, der aus der unerwarteten Lernsituation stammen soll, begründet. Laut der Vermutung des Lehrers hätte der/die SchülerIn in diesem Fall eine stufenweise Heranführung bevorzugt. Die Vermutung wurde von dem/der SchülerIn bestätigt.
Für die Varianz nach oben gab es ebenfalls drei Fälle: (i) C. (angenommen leicht, ausgesucht mittel), (ii) Ro. (angenommen leicht, ausgesucht mittel), (iii) Ka. (angenommen mittel, ausgesucht schwer). Während der Lehrer Wettbewerbsfähigkeit als den Hauptgrund für solche Varianz sah, war für die SchülerInnen sie eine Frage der Einstellung. Letztens ist anzumerken, dass während die Varianzart „schwer nach leicht“ vorhanden war, war die Varianzart „leicht nach schwer“ nicht vorhanden.
8 Fazit
Aus dem PEP entstanden sowohl für die Forschung wie auch für die Sprachdidaktik relevante Schlussfolgerungen. Das forschungsorientierte Ergebnis des PEPs ist, dass die Autonomie zur Selbsteinschätzung den Leistungsdruck senkt. Zugleich darf man nicht vergessen, dass dieselbe Autonomie bei einigen Lernern zur Unsicherheit führen kann. Das Fazit für die Sprachdidaktik ist, dass es bei der mittleren Gruppe Bedarf nach besonderer Aufmerksamkeit geben kann. Summa summarum helfen Experimente zur Einschätzung den Lehrenden, ihre SchülerInnen besser zu verstehen.
Bibliografie
Benson, P. (2001): Teaching and researching autonomy in language learning, London: Longman
Holec, H. (ed.) (1979): Autonomie et apprentissage des langues étrangères, Strasbourg: Editions du Conseil de l’Europe
Kleppin, K. (2005): „Die Förderung der Fähigkeit zur Selbstevaluation beim Fremdsprachenlernen“, in: Burwitz-Metzler, E./Solemcke, G. (eds.): Niemals zu früh und selten zu spät: Fremdsprachenunterricht in Schule und Erwachsenenbildung. Festschrift für Jürgen Quetz, Berlin: 107-118
Tassinari, M.G. (2012): „Kompetenzen für Lernerautonomie einschätzen, fördern und evaluieren“, in: Fremdsprachen Lehren und Lernen 41.1, 10-24
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How to cite this text:
Sharma, A. & Kruse, M. 2018. Rolle der Selbsteinschätzung beim Spracherwerb, URL: < https://sharmaabhi1.wixsite.com/mysite/post/rolle-der-selbsteinsch%C3%A4tzung-beim-spracherwerb > [accessed dd/mm/yyyy]
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